Neue Zürcher Zeitung, Dienstag, 24. Januar 2006, Nr. 19, Seite 13, Kapitel SCHWEIZ



Totuflieji – Höje Laas – Düüheltor – Besch Hieti

Landeskarten als Spielfeld für Linguisten?

Von Angelo Garovi *

Das Bundesamt für Landestopographie schlägt vor, lokale Namen nach der örtlichen Sprechweise zu schreiben. Im folgenden Diskussionsbeitrag wird hingegen unter anderem darauf hingewiesen, dass bei geographischen Karten der praktische Nutzen im Vordergrund stehen sollte. 

Während diskutiert wird, ob man in der ersten Klasse oder sogar schon im Kindergarten Hochdeutsch sprechen soll, legt das Bundesamt für Landestopographie (Swisstopo) einen Entwurf zu neuen Richtlinien für die Schreibweise der Lokalnamen (Flurnamen) vor. Auf 57 Seiten werden wissenschaftliche Grundsätze und Regeln für die Schreibweise von Lokalnamen in der Schweiz, sogenannte «Toponymische Richtlinien», aufgestellt – und das in einer Rigidität, die an die Mundarttümelei der geistigen Landesverteidigung erinnert. So sollen in Zukunft folgende exotische Namen auf den Landeskarten stehen: Wannili, Bidumji, Glettiritza, Ghöcht, Chäästaal, Frooi Uusicht, Höje Laas, Düüheltor, Sundloue ne, Grüobini, Bir Heejen Schirr, Besch Hieti, Totuflieji. Was soll nun der einfache Kartenbenützer, was soll der Tessiner und Westschweizer mit diesen unlesbaren Namen auf den Landeskarten und Plänen anfangen? 

Zurück ins Jahr 1947

Die Geschichte scheint sich zu wiederholen. 1947 entfachte sich ein Streit zwischen dem Linguisten der Landestopographie und Sprachwissenschaftern und Kartographen. Die Landestopographie entwarf 1947 – ähnlich wie nun 2005 wieder – Richtlinien, wonach auf Landeskarten und Grundbuchplänen die lokalen Namen (Flurnamen) in extremmundartlicher Schreibung erscheinen sollten, das heisst, die Namen sollten so geschrieben werden, wie sie am entsprechenden Ort gesprochen werden. Diese starke dialektale Ausprägung des Regionalen hätte aus den Landeskarten sozusagen einen Dialektatlas mit mundartlichen Varianten gemacht. Allein im kleinen Kanton Obwalden wären so oft drei bis vier Schreibweisen (Heu, Häiw, Heuw) auf Karten zu schreiben.

Kompromiss im Sinn der Lesbarkeit

Gegen ein solch dialektales Experimentierfeld erhoben schon 1947 bedeutende Linguisten und Kartographen Einspruch. So schrieb der bedeutende Kartograph und ETH-Professor Eduard Imhof an den Direktor der Eidgenössischen Vermessungsdirektion:

«Die Meinungsverschiedenheiten beziehen sich auf die Grenzzone zwischen mundartlicher Schreibung und schriftlichem Sprachgebrauch. Man darf sich über gewisse feste, allgemein vertraute Schreibgebräuche und über den Hauptzweck der Pläne und Karten nicht hinwegsetzen. Dieser Hauptzweck ist die Orientierung. Das Haupterfordernis ist möglichst leichte, allgemeine Lesbarkeit, und zwar nicht nur durch Ortsansässige, sondern in erster Linie auch durch Ortsfremde. Die allgemeine Schreibgewohnheit, die leichtere und allgemeine Verständlichkeit muss höher bewertet werden als sprachliche Einheitlichkeit, sprachliche Ästhetik und wissenschaftliche Einsicht.»

In diesem Streit mit dem Linguisten der Landestopographie setzte sich dann ein Gegenentwurf der Zürcher Nomenklaturkommission durch, ausgerechnet verfasst vom damaligen Redaktor am Schweizerdeutschen Wörterbuch (Idiotikon), Guntram Saladin. Die Kommission plädierte für eine «berechtigte Schrifttradition mit massvoller Vermundartlichung». Allzu lokale Sonderentwicklungen seien auszugleichen und zu normalisieren. Diesen Kompromiss zwischen überlieferter Schriftform und lebendiger Mundart unterstützte auch der damals wohl bedeutendste Dialektologe der Schweiz, Rudolf Hotzenköcherle, Zürcher Ordinarius und Herausgeber des Schweizerdeutschen Sprachatlasses.
   Und der Walliser Vertreter, Albert Carlen, schrieb: «Grundlage der Schreibung der Lokalnamen soll zwar die Mundart sein, jedoch kann sich der Schreibende mit einer extremen Dialektschreibung nicht befreunden, weil sonst die gleichen Wörter von Ort zu Ort, ja sogar von Gewährsmann zu Gewährsmann wechseln würden.» Das Eidgenössische Justiz-und Polizeidepartement erliess dann 1948, weitgehend den Zürcher Kompromissvorschlägen folgend, die «Weisungen für die Erhebung und die Schreibweise der Lokalnamen bei Grundbuchvermessungen in der deutschsprachigen Schweiz».

Verwirrend und teuer

Sollen nun diese seinerzeit in vielen Sitzungen ausgehandelten Weisungen wieder im Sinne der verworfenen Vorschläge der Landestopographie von 1947 zurückbuchstabiert werden? Wer den Entwurf von 2005 liest, fragt sich: Was soll das? Dieser Entwurf der Landestopographie bringt wieder unlesbare, verwirrende Schreibungen, die seinerzeit von namhaften Linguisten wie Rudolf Hotzenköcherle, Paul Zinsli, Andrea Schorta, Jakob Jud und Kartographen unter Anführung von Eduard Imhof klar abgelehnt wurden. Erstaunlicherweise entstand gegen diesen neuen unsinnigen Entwurf der Landestopographie bisher kaum Opposition. Hat man ihn gar nicht zur Kenntnis genommen? Im Internet meldet sich der frühere Grundbuchgeometer und Raumplanungsprofessor Paul Märki zu Wort und schreibt: «Die heutige Schreibweise soll unverändert bleiben.» Im «Beobachter» vom 11. November 2005 erschien ein Artikel mit dem Titel «Wo Unsinn einen Namen hat». Interessant darin der Hinweis, wie solche unüberlegte Änderungen bei Rettungsaktionen schwerwiegende Folgen haben könnten. Falls diese Richtlinien in Kraft gesetzt werden, müssen in absehbarer Zeit Tausende von Strassennamen, Wegweisern zu Wanderwegen usw. abgeändert werden. Und das in einer Zeit der Sparmassnahmen beim Bund, bei Kantonen und Gemeinden.
    In der Tat: Die Argumente gegen diese nicht zu rechtfertigende Aktion wurden schon vor mehr als fünfzig Jahren ausdiskutiert und in den Weisungen von 1948 festgehalten – im Sinne der Erfordernisse des praktischen Lebens und im Interesse der grossen Mehrheit der Plan- und Kartenbenützer, die kein Verständnis für solche Übungen hat. "Pläne und Karten sind für alle da, nicht nur Linguisten." (Eduard Imhof)


* Der Autor ist Obwaldner Staatsarchivar und Titularprofessor für deutsche Sprachwissenschaft an der Universität Basel.